Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance
Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance

Redebeitrag zum 8. Mai 2020 des Frauenverbandes Courage, Ortsgruppe Bochum

Carola Horn (links) und Karin Finkbohner von Frauenverband Courage

Heute ist der 8.Mai 2020, der 75. Jahrestag der Befreiung der Menschheit von Faschismus und Krieg. Heute wollen wir an all die mutigen Bochumer Frauen erinnern, die aktiv Widerstand leisteten gegen die Terrorherrschaft des Faschismus, gegen eine reaktionäre Frauenideologie, gegen Krieg und Unterdrückung und für Gleichberechtigung, Menschlichkeit, Demokratie und Frieden. Diese Frauen waren nicht nur Unterstützerinnen der Männer, sondern leisteten vielfältige, auch frauenspezifische Widerstandstätigkeiten. Erst in den letzten Jahren wird das als eigenständiger Widerstand der Frauen endlich ausreichend gewürdigt. Mit unserem 2006 erschienene Buch „Wider das Vergessen – Widerstand und Verfolgung Bochumer Frauen und Zwangsarbeiterinnen 1933 – 1945“, in dem wir über 61 Bochumer Frauen und ihren Widerstand berichten, konnten wir eine Beitrag zur Würdigung dieser Frauen leisten.

Trotz Sorge um ihre Familien, trotz Angst vor dem faschistischen Staatsapparat mit seinen Sanktionen, trotz drohender Haft, Folter oder KZ wurden Frauen besonders im Laufe des Krieges zunehmend aktiv:

Zum Beispiel beim Herstellen und Verteilen von antifaschistischen Flugblättern und Handzetteln, beim Transport von Zeitungen in Kinderwagen, beim Verstecken und Versorgen von Illegalen und Flüchtlingen.

Sie leisteten Sabotage in Rüstungsbetrieben, verweigerten Arbeiten und betrieben anitfaschistische Aufklärungsarbeit.

Sie halfen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern oder rassistisch verfolgten Menschen und retteten so viele Menschenleben. Sie waren aktiv als Fluchthelfer, im Kurierdienst, in antifaschistischen Widerstandsgruppen im In- und Ausland, nahmen an illegalen Treffs und Versammlungen teil und vieles mehr.

Beispielhaft wollen wir einige Frauen aus Bochum kurz vorstellen:

Elisabeth Sievers (SPD)(*1886) und Martha Wink (Vater in der KPD) (*03.05.1921) wurden aufgrund ihrer antifaschistischen Einstellung und Arbeit 1942 bzw. 1945 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ermordet, genauso wie 90.000 aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen verfolgte Frauen allein im KZ Ravensbrück.

Hedwig Schönewolf, geb. Bode (*26.10.1905) war eine Frau aus dem sozialdemo-kratischen Widerstand.

Seit 1926 war sie Mitglied der SPD und im Parteibüro der SPD tätig.

Sie berichtet: „Die Verfolgung begann schon vor der Machtübernahme. Haussuchungen, Beschlagnahmung von Eigentum, Drohungen und Belästigungen wiederholten sich bis zur Inhaftierung am 2.September 1933…

Nach der Machtübernahme durch die NSDAP wurde ich am 3.9.1933 von der Gestapo Bochum inhaftiert und wegen Verächtlichmachung des Staates und seiner Einrichtungen unter Anklage gestellt…. Ich wurde zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, die ich den verschiedensten Strafanstalten verbüßte.“

Ihr „Verbrechen“ war ein Brief nach Frankreich an emigrierte Genossen, ihre angebliche „Hetze“ und „Greuelpropaganda“ erweist sich als kritische Einschätzung der politischen Lage in Deutschland:

„… und wenn ich schreibe, dass mindestens die Hälfte der Wähler geheilt ist, dann habe ich nicht zu hoch gegriffen. Ob man den Prolet, Mittelständler oder Kleinbauern hört, immer dasselbe Lied der Enttäuschung. Das Großkapital und der Großgrundbesitz, sie haben die Revolution in vollem Maße gewonnen, das haben allmählich alle begriffen … Wir treffen uns als alte Freunde, glauben an unsere Sache in fanatischer Treue. Und wirft man auch zehnmal uns nieder…“

Hedwig Kunold, geb. Krollmann (*07.01.1907, gest. 1982) war als eine der Bochumer Kommunistinnen im organisierten Widerstand gegen den Faschismus aktiv. Sie und ihr

Mann Karl Kunold waren Mitglied in der KPD..

Im Januar 1933 wurde das Haus der Kunolds durchsucht, vieles zerstört und alle Bücher von Goethe bis Marx konfisziert.

Am 28.07.1933 wurde Hedwig Kunold verhaftet und ins Polizeigefängnis Bochum eingeliefert. Bereits am 14.09.33 wird sie wieder bis Anfang Dezember inhaftiert und danach in Hamm unter Anklage wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ gestellt und zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, im KPD-Büro gearbeitet, Parteibeiträge kassiert und kommunistisches Schriftmaterial verbreitet zu haben.

Ein Gnadengesuch ihres Mannes wegen ihrem schlechten Gesundheitszustand und der notwendigen Betreuung ihres 2-jährigen Sohnes Klaus wurde abgelehnt: „…Die Kunold gibt hier in ihrer Führung zu Klagen keinen Anlaß. Infolge ihres schwächlichen Gesundheitszustande leidet sie unter der Haft wohl mehr als andere Gefangene. Gleichwohl vermag ich einen Gnadenerweis nicht zu befürworten, da die K. noch jegliche Einsicht vermissen lässt und noch immer ihren kommunistischen Gedankengängen nachgeht.“

Nach dem Krieg waren sie, ihr Mann und ihre 3 Kinder weiter politisch aktiv und leisteten z.B. als KommunistIn, GewerkschafterIn oder in der VVN antifaschistische Arbeit. Dafür erhielt Hedwig Kunold 1956 von der KPD und 1978 von der VVN eine Ehrenurkunde: „Für hervorragende Verdienste im Widerstandskampf gegen das nationalsozialistische Gewaltregime…“

Else Sunkel (*1923) ist ein gutes Beispiel für den alltäglichen Widerstand aus der Bevölkerung. 1944 – 45 wurde sie zum Arbeitsdienst im Zwangs-arbeiterlager Bochum – Gerthe dienstverpflichtet und freundete sich trotz dem verbotenen Umgang mit Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen mit den russischen Frauen an. „Klar, was die wollten, habe ich ihnen alles besorgt, da kenne ich nichts. Das konnten sie mir ja nicht nachweisen.“ Auch Drohungen und Anfeindungen von Nachbarn schreckten sie nicht davor ab, solidarisch zu sein und Mitgefühl zu zeigen.

Als eine Zwangsarbeiterin ein Kind bekommt, halfen sie und ihre Mutter, dass das Kind Babysachen erhielt. „Das Kind hatte von oben bis unten Binden. Arme und Beine, alles war zugewickelt. Ich denke: Nein, was soll das Kind so leben?“

Organisierte Hilfe für französische Kriegsgefangene wurde 1941/42 über das direkt an den Bochumer Verein grenzende öffentliche Bordell für ausländische Zivilarbeiter „Im Winkel“ geleistet.

1942 wurden alle verhaftet und zu bis vier Jahren Zuchthaus und Ehrverlust verurteilt. Folgende 3 Frauen gehörten zu dieser verurteilten Gruppe:

Elfriede P. (*26.01.1905, gest. 14.05.1944) arbeitete als Putz- und Nachtfrau im Bordell, Luise C. (*10.06.1912) als Reinigungsfrau. Ihr Ehemann, Kranführer im Bochumer Verein, war ebenfalls angeklagt.

Aline L. (*01.14.1920 in Frankreich) arbeitete als Prostituierte im Bordell.

Allen mutigen Frauen, die sich gegen das Naziregime gestellt haben, gilt unser Respekt. Wir müssen sie vor dem Vergessen bewahren und von ihrem Einsatz für eine friedliche, demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft für heute lernen.

Niemals wieder dürfen ultrareaktionäre, faschistoide und faschistische Kräfte diesen Einfluss und Macht erhalten.

Die Geschichte hat uns gelehrt, wie wichtig ein rechtzeitiges Erkennen und konsequentes couragiertes Eingreifen gegenüber der faschistischen Gefahr ist und wie gefährlich ihre Verharmlosung, Verschleierung und Vertuschung.

Als Frauenverband Courage unterstützen wir den gemeinsamen Aufruf vieler Frauen aus den unterschiedlichsten Parteien und Organisationen auf dem Frauenpolitischen Ratschlag im November 2019 in Erfurt : (Auszug)

„Angesichts der Rechtsentwicklung vieler Regierungen und angesichts des Erstarken faschistoider, faschistischer und rassistischer Parteien wie der AfD innerhalb der Gesellschaften, sehen wir Frauen die Notwendigkeit: Lasst uns als Teil der bereits existierenden antifaschistischen Bewegung bewusst und noch besser überparteilich zusammenarbeiten, um der faschistischen Gefahr etwas entgegen zu setzen… Im Bewusstsein unserer Geschichte haben wir besondere Verantwortung. Die Anfänge, denen wir wehren, haben schon begonnen… Wir wollen nicht in 5, 10 oder 20 Jahren zurückblicken und feststellen, dass wir es wieder nicht rechtzeitig verstanden haben, eine breite antifaschistische Einheit zu bilden.“

Und wie Esther Bejerano, Vorsitzende des Auschwitzkommitees und Überlebende des Vernichtungslager Auschwitz, fordern wir: Der 8.Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag des Erinnerns und Gedenkens, ein Tag des Feierns und ein Tag des solidarischen Zusammenstehens gegen rechts.