Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance
Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance

Redebeitrag zum 8. Mai von der Mansfeld Schule

Katja Wiemers und Moritz Ludwig trugen einen Beitrag von Schülerinnen der Mansfeld Schule vor

Je mehr wir uns mit dem Thema beschäftigten, eröffnete sich uns zunehmend ein schreckliches Bild: Wir Schüler einer Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung wären in dieser Zeit wahrscheinlich zwangssterilisiert und/oder sogar getötet worden. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir unsere Recherche über eine Person machen wollen, die uns ähnlich ist. Für diese Menschen gibt es in Bochum noch kaum Stolpersteine und uns ist es wichtig deutlich zu machen, dass Menschen die vielleicht ein auffälliges Verhalten zeigen, die vielleicht Unterstützung von Ärzten und auch Psychologen benötigen, die vielleicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind oder noch nicht gelernt haben, wie man sich in unserer Gesellschaft verhält, trotzdem ein lebenswertes Leben haben. Niemand hat das Recht dies mit einem Urteil über Leben und Tod zu bewerten. Wir haben zum großen Teil erfahren, wie es ist ein „Schandfleck“ zu sein. Dies kann in der Familie, im Schulsystem, bei Hobbies, in der Nachbarschaft oder einfach so sein. Wir haben alle das Ziel, dass aus uns etwas wird. Die Menschen im Nationalsozialismus, die Geschichten hatten, die unseren ähneln, hatten diese Chance nicht und darum wollen wir die Erinnerung durch einen Stolperstein wachhalten.

Wir haben 3 verschiedene Archive und 4 Gedenkstätten kontaktiert, zahlreiche Internetrecherchen und Anrufe durchgeführt und sind nach Berlin und Hadamar gefahren, um Ihnen Theodor Welbhoff vorzustellen. Ein Opfer der Nazidiktatur, weil er anders war, als die Nazis es wollten.

Theodor Welbhoff ist am 16.02.1916 in Bochum in der Kortumstraße 68 geboren. Er lebt mit seinen Eltern Maria Welbhoff, einer Obst- und Gemüsehändlerin, und Albert Welbhoff einem Bergarbeiter und seiner Großmutter zusammen. Theodor ist das dritte von insgesamt fünf Kindern. In der Schule kommt er gut zurecht. Alle 8 Klassen der Volksschule schafft er als mittelmäßiger Schüler, Mathe mag er nicht.

Im Jahr 1926 ändert sich alles für die Familie Welbhoff. Papa Albert bekommt eine Halsentzündung von der er sich nicht erholt. Aufgrund der Schwere der Erkrankung folgt eine Blutvergiftung und Albert stirbt am 01.03.1926. Maria ist nun Witwe und bekommt Unterstützung durch ihre Mutter. Theodor sieht seinen Vater tot in der Leichenhalle und beginnt zu Schreien. Das ist der Beginn von Anfällen die Theodor vor allem nachts bekommt. Nach einer Behandlung mit Elektroschocks lindern sich die Anfälle und verschwinden dann bis zum 16 Lebensjahr ganz. Theodor gerät auf die schiefe Bahn und es beginnt ein Leidensweg, den wir Ihnen hier vorstellen wollen.

Als Theodor 16 Jahre ist, werden in den Akten drei Diebstähle erwähnt. Insbesondere Fahrräder waren sein Ziel. Er habe die Fahrräder und Teile davon verkauft und von dem erhaltenen Geld Alkohol gekauft, war seine Aussage für den Grund. Er wird zu kleineren Haftstrafen verurteilt und Schutzaufsicht wird ausgesprochen. Deswegen wird er in einem Erziehungsheim Appelhülsen untergebracht.

Die nächsten drei Jahre verbringt er mit einigen Unterbrechungen im Erziehungsheim Appelhülsen. Als er diese Erziehungsanstalt verlässt, ist Theodor 19 Jahre alt.

Im Anschluss wird Theodor in der Uniklinik in Münster untergebracht und soll in Bezug auf seine geistige Gesundheit begutachtet werden. In dieser Zeit ist es üblich psychische Erkrankungen mit Elektroschocks zu behandeln. So muss auch Theodor diese hoch schmerzhafte Behandlung über sich ergehen lassen. Die Ärzte notieren, dass die Behandlung keine Erfolge zeigte. Zwischendurch wird er in die Provinzial-Heilanstalt Mariental in Münster eingewiesen.

Nach seiner Entlassung nach Hause begeht er weitere Straftaten und auch die familiäre Situation ist angespannt. Daraufhin kommt Theodor im Sommer 1935 ins Arbeitshaus Benninghausen. Misshandlungen und unwürdige Behandlungen waren hier an der Tagesordnung. Viele der Insassen berichten von folterähnlichen Umgangsweisen. So wurden z.B. andauernde Isolation in dunklen Räumen und der Entzug von Kleidung, als Bestrafung benutzt. Er hält es nicht lange aus und flieht Mitte September aus der Einrichtung, die „geisteskranke” und „asoziale” Menschen beherbergt, aber auch politische Häftlinge festhält. Hierfür klaut er wieder ein Fahrrad.

Zu Hause fällt er wiederum mit der nächsten Straftat, dem Diebstahl mit einem Freund von 200 Reichsmark aus einem Obstgeschäft, auf. Im Gespräch bei der Polizei äußert die Mutter, nicht mehr mit ihrem Sohn zurechtzukommen und beantragt die stationäre Unterbringung Theodors. Sie erzählt er war bei verschiedenen Bauern, um für diese zu arbeiten, wurde aber wegen seiner Schreikrämpfe entlassen. Die Mutter sagt außerdem Theodor bedroht die ganze Familie und würde eine Gefahr für sie sein.

Daraufhin kommt Theodor in das Hitlerjugendlager Bad-Arendsee. Hier soll er lernen zu arbeiten, wird aber entlassen, weil er häufige Anfälle gehabt haben soll. Er tritt ein paar Monate später den Arbeitsdienst an. Dieser kann nicht von langer Dauer gewesen sein, da er bereits weniger als zwei Monate später zu seiner nächsten Station die Heilanstalt Aplerbeck kommt. Besonders nachts leidet Theodor unter starken Anfällen. Er schreit, bekommt ein hochrotes, verzerrtes Gesicht und hat einen unkontrollierbaren Bewegungsdrang. Nach den Anfällen sagt er, er könne sich nicht daran erinnern. Er gesteht hier weitere Diebstähle, die alle in der Akte vermerkt werden. Hier wird das erste Mal diagnostiziert, dass Theodor an einem Wasserkopf leidet, in allen vorherigen Akten wird dies verneint. Theodor ist ab diesem Zeitpunkt also offiziell erbkrank und kommt somit für die sogenannte Euthanasie in Frage. Offiziell wird eine epileptische oder psychologische Erkrankung ausdrücklich nicht festgestellt.

Von dort wird Theodor in der „Irrenabteilung” der Strafanstalt Münster untergebracht. Auch hier leidet er unter der Behandlung der Ärzte und Pfleger und bekommt immer mehr Anfälle. Ab hier bekommt er Luminal ein Mittel gegen Epilepsie, wobei die Anfälle bleiben. Theodor schreibt einen Brief an seine Mutter, in dem er ihr erklärt wie es ihm geht.

Briefabschrift vom 11.03.1937:

„Liebe Mutter! Dies ist der zweite Brief den ich unter Tränen und großer Seelenqual nach dir schreibe. Es fällt mir wirklich schwer dieses hier alles auszuhalten, denn ich sitze den ganzen Tag hier allein in der Zelle und sehe nur 4 Wände und denke an meine Taten zurück wo ich doch nichts bei bezweckt habe, oh ich will ein anderes Leben anfangen ein gutes Leben, ja lieb Mutter ein guter Mensch will ich werden, ich will für dich arbeiten und sorgen so wahr ich lebe, ich will nur gutes tun und fremde Sachen die mir nichts angehen werde ich nie wieder anfassen. Liebe Mutter tue dieses eine Opfer noch für mich und gehe doch zur Staatsanwaltschaft und bitte doch den Herrn Staatsanwalt, dass er mich wieder herauslassen möchte, und sage ich möchte mich gern unter Polizeiaufsicht stellen und dass ich auch ein ganz anderer Mensch werden will. Dieses Versprechen soll ein hl. Schwur sein, ich werde ihn bis an mein Lebensende halten. Wenn ich mir noch das geringste zu Schulden kommen lasse, soll man kein Erbarmen mehr mit mir haben. Diese Schule, die ich bis jetzt durchgemacht habe, soll mich immer an alles erinnern und ich bitte mir Diesen Worten Glauben zu schenken. Liebe Mutter, ich bitte dich nochmals zum Staatsanwalt zu gehen und bei ihm um eine Fürsprache bitten, auch kannst du diesen Brief mit zum Staatsanwalt nehmen und denselben lesen lassen, ich bitte Dich sogar darum, denn ich wollte von hier aus selbst zum Staatsanwalt schreiben. Aber ich habe kein Geld für Porto, darum schreibe ich nach dir, um meine Bitte zu erfüllen. Ich hoffe, dass mein Bitten und Flehen nicht umsonst ist. Sonst wüsste ich nichts neues zu schreiben ausser dass Du mir ein paar Freimarken schicken kannst. Hoffentlich bist du noch gesund und munter und wünsche meinen Geschwistern genau dasselbe. Viele Grüsse an Verwandte und Bekannte. Ich bitte um sofortige Antwort. Es grüsst Euch allen Euer flehender Sohn und Bruder Theodor“

Theodor ist in seiner vorletzten Station Eickelborn. Über das Jahr 1938 ist keine Information erhalten. Theodor wird ab dem Jahr 1939 als gewalttägig beschrieben und versucht immer wieder Schlägereien zu beginnen. Zunehmend gerät er auch mit anderen Insassen aneinander, schlägt sie und muss von Pflegern aufgehalten werden. In dieser Zeit bekommt er häufig Besuch von seiner Mutter, seiner Schwester und einer Tante. Er berichtet ihr, dass er nicht mehr leben will und versucht habe sich die Pulsadern aufzuschneiden. Er sagt er könne die Tabletten nicht mehr nehmen, weil sie ihn ganz dumm im Kopf machen würden und bittet wieder elektrische Bäder nehmen zu dürfen, welche sich die Mutter aber nicht leisten kann. Theodor sieht seine Mutter am 02.03.1941 das letzte Mal. Sie versucht Theodor zur Besserung seines Verhaltens zu überreden, damit er entlassen werden kann. Auch mit den Ärzten spricht sie häufig darüber. Ohne Erfolg.

Anfang Juli wird Theodor in die Anstalt Eichberg im Rheingau verlegt. Während der Aktion T4 ist es üblich gewesen, dass die Opfer nicht direkt in die Vernichtungsstätten verbracht wurden, sondern zur Verschleierung ihres Weges erst in Zwischenanstalten gebracht wurden.

Am 19.08.1941 kommt Theodor am Ort seiner Ermordung an. In Hadamer sterben im Jahr 1941 10.021 Menschen. So wird auch Theodor Welbhoff am 23.08.1941, 4 Tage nach seiner Ankunft in Hadamar, vermutlich zum angeblichen Duschen in den Kellerraum der Tötungsanstalt Hadamar geführt. Er erstickt mit ca. 30 anderen Opfern an dem Gas Kohlenmonoxid. Seine Todesursache ist offiziell die vorher ausgeschlossene Epilepsie. Am 24.08.1941 erlässt Hitler den Befehl das offizielle Töten im Rahmen der T4-Aktion zu beenden, einen Tag nach Theodors Tod. Das Morden geht jetzt inoffiziell weiter. Die Gesamtzahl der Opfer in der Tötungsanstalt Hadamar beläuft sich bis 1945 auf mindestens 14.494 Menschen. Insgesamt sterben mindestens 70.273 Menschen im Rahmen der T4-Aktion. Die Dunkelziffer ist höher.