Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance
Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance

Redebeitrag zum 8. Mai von Felix Lipski, Holocaustüberlebender, Klub STERN der Jüdischen Gemeinde Bochum

Felix Lipski, Holocaustüberlebender, Klub STERN der Jüdischen Gemeinde Bochum

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa durch die vollständige bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Wir feiern heute 75 Jahre der Befreiung des Deutschlands vom Nazismus, das Ende des größten Blutvergießens der Weltgeschichte, die Rettung der europäischen Juden vor der vollständigen Vernichtung. Im Zweitem Weltkrieg haben 60 Millionen Menschen ihr Leben verloren, fast die Hälfte davon waren Zivilisten. Jeder Zehnte war Jude. Am meisten betroffen waren die Sowjetunion und die Rote Armee. Das sowjetische Volk zahlte einen hohen Preis für den Sieg. 27 Millionen Menschen starben, 12 Millionen davon waren Soldaten und Offiziere.

Mehr als 3 Millionen aus der Sowjetunion verschleppte Zivilisten wurden im Reichsgebiet als Arbeitskräfte eingesetzt. Sie haben unter schwersten Bedingungen in der Kriegs-, Stahl-, und Kohleindustrie und in der Landwirtschaft gearbeitet. Sie wurden gezwungen, die zerbombten Orte in Deutschland zu säubern und die Minen zu entschärfen.

Noch ernster war die Lage der Kriegsgefangenen. Von fast 5 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen sind 3,5 Millionen in KZs an Krankheit, Kälte und Hunger gestorben oder wurden ermordet.

Der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck hat den Tod von mehreren Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen als eines der größten Verbrechen der Nazi-Zeit verurteilt.

Während der Kriegszeit arbeiteten in Nazideutschland mehr als 11 Millionen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene.

In Bochum (ohne Wattenscheid) arbeiteten mehr als 30 Tausend

Tausend ausländische Arbeiter, unter ihnen 5 Tausend sowjetische Kriegsgefangene und 8 Tausend Ostarbeiter. Im „Bochumer Verein“ und „Eisen und Hüttenwerk“ haben seit Herbst 1944 über 2000 aus Ungarn deportierte Juden gearbeitet. Sie wurden als Zwangsarbeiter in zwei Außenlagern vom KZ Buchenwald eingesetzt.

Während der Kriegsjahre starben in Bochum mehr als 700 sowjetische Kriegsgefangene. Sie ruhen im Massengrab im Gräberfeld Nummer 19. In den anderen Gräberfeldern ruhen ungefähr 1100 in Bochum ums Leben gekommene Zwangsarbeiter. 93 Juden aus dem KZ Buchenwald ruhen auf dem jüdischen Friedhof an der Wasserstraße.

Auf dem Grabstein des Massengrabs der sowjetischen Kriegsgefangenen steht:„Die Kriegstoten aller Völker mahnen zum Frieden. Den hier ruhenden sowjetischen Bürgern, den Opfern des Nationalismus … Sie vermachen uns eine Welt in Frieden“.

Das Schicksal der kriegsüberlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen und Ostarbeiter nach dem Heimkehr war auch sehr tragisch. Sie wurden als Verräter behandelt. Viele wurden in den Lagern des GULAG für Jahren inhaftiert.

Wir sehen, dass gerade in den letzten Jahren fremdenfeindliche, antisemitische und rassistisch motivierte Gewalttaten zugenommen haben.

Der aktuelle Bericht des Unabhängigen Expertenkreises „Antisemitismus“ zeigt, wie verbreitet das Phänomen Antisemitismus und Antiisraelismus. Es zieht sich quer durch alle Gesellschaftsschichten in Deutschland. Antisemitismus ist ein wichtiges Merkmal des nazistischen und rechtsextremistischen Spektrums.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, es sei deprimierend, dass jüdische Kindergärten, Schulen und Synagogen noch immer von der Polizei geschützt werden müssen.

Deutsche Studenten und Schüler haben mangelnde Kenntnisse über die Nazizeit, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Diese Themen müssen im Schulunterricht wesentlich besser vermittelt werden und dafür braucht man gute Schulbücher und Materialien!

In fast allen Ländern der Europäischen Union werden neonazistische Bewegungen und Parteien stärker. Es finden zahlreiche Demonstrationen statt, bei denen die Teilnehmer Nazi-Symbole tragen und auf welchen nationalistische und antisemitische Parolen skandiert werden. In den Parlamenten vieler europäischer Länder erhalten rechte Parteien eine große Anzahl an Sitzen.

Wir dürfen die Lehren aus der Geschichte nicht vergessen: Hitlers NSDAP kam 1933 auf parlamentarischen Weg an die Macht, nachdem sie bei der Reichstagswahl auf 37% kam.

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist einer rechtspopulistische und teilweise eine rechtsextreme Partei.

Der Ehrenvorsitzende der AfD, Alexander Gauland sagte: „Der 8. Mai ist ein Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes großer Teile Deutschlands und kein Tag der Befreiung.“

Wir danken den Bürgern Bochums, welche zur Bochumer Synagoge gekommen sind, um ihre Solidarität nach dem Terroranschlag in Halle zu bekunden.

Ich als Holocaustüberlebender, freue mich, dass die Jugend unserer Stadt das Gedenken an die Opfer der Nazizeit, den Kampf gegen Nationalismus und rechten Extremismus weiterträgt. Die Initiatoren der Veranstaltung „75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und Kriegsende“ waren der Kinder- und Jugendring Bochum und das Bündnis gegen Rechts.

Wir müssen aktiv gegen Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und religiöse Verfolgung vorgehen.

Elie Wiesel, Holocaustüberlebender, Schriftsteller und Nobelpreisträger hat gesagt:

„Wenn wir vergessen, sind wir schuldig, sind wir Komplizen.“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit

Felix Lipski

Holocaustüberlebender

Klub STERN der Jüdischen Gemeinde Bochum