Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance
Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance

Redebeitrag zum 8. Mai von der VVN – BdA

Reinhard Junge, VVN -BdA

In der Ankündigung meines Beitrags wurde gesagt, ich hätte ein besonderes Verhältnis zu diesem Ort. Das stimmt insofern, als ich oftmals an diesen Gräbern gestanden habe. Ein wirklich enges Verhältnis habe ich aber zu dem Bochumer Gefängnis Krümmede. Dort hat mein Vater 1933 bis 1935 aus politischen Gründen eine Jugendstrafe „abgesessen“. Bei seiner Entlassung wurde er von seinem Vater und einer Schwester abgeholt und zuerst darüber informiert, dass seine Mutter sich in Untersuchungshaft befinde. „Und was machst du nun?“, wollte Großvater wissen. Für meinen Vater war die Sache klar: „Ich mache da weiter, wo ich aufgehört habe.“ „Junge, Junge“, seufzte mein Opa. „Reicht es nicht, wenn von unserer Familie immer nur einer ‚sitzt‘?“ – Das hat in der Nazizeit nicht so ganz geklappt …

Nun zum eigentlichen Thema, dem 8. Mai 1945. Die Auseinandersetzung um die Gestaltung dieses Tages mutet an wie eine unendliche Geschichte. Schon meine Lehrer hatten in den 50-er und 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts Probleme mit diesem Datum. Für die meisten war es kein Tag der Befreiung, sondern ein Tag der „Niederlage“, des „Zusammenbruchs“, der „Katastrophe“. Kein Wunder: Sie hatten in der einen oder anderen Weise an den Untaten des Faschismus mitwirken müssen – und nichts ist schwerer, als sich einzugestehen, dass man sein Leben für die falsche Sache riskiert hat.

In meiner Geburtsstadt Dortmund wurde die Nazizeit schon früh und sehr gründlich aufgearbeitet. In der Bittermark, wo die Gestapo in der Karwoche 1945 über 300 Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und deutsche Nazigegner umgebracht hat, wurde schon Anfang der 6-0er Jahre ein würdiges Denkmal errichtet. Jedes Jahr gibt es dort Kundgebungen, zu denen die Stadt immer auch ausländische Überlebende und Angehörige der Opfer aus vielen Ländern (auch des Ostens) eingeladen hat. In den Siebzigern wurden die sterblichen Überreste aller Opfer auf einen gemeinsamen, gut gepflegten Friedhof umgebettet. Gleich hinter dem Hauptbahnhof wurde das ehemalige Gestapo-Gefängnis „Steinwache“ zu einer Gedenkstätte umgestaltet – nach den Vorgaben eines Kuratoriums, in dem von der CDU bis zur DKP und zur VVN alle demokratischen Kräfte der Stadt einträchtig mitgewirkt hatten. Seitdem wurden fort Hunderte von Schulklassen, Bundeswehr- und Polizeilehrgängen von Zeitzeugen begleitet und informiert.

Seit meinem Studium lebe ich fast ununterbrochen in Bochum. Auch hier regiert seit der Befreiung vom Faschismus die SPD. Aber mit der Erinnerung an Verfolgung und Widerstand tat man sich schwer. Zwar wurden nach 1945 der Husemannplatz, der Springer- und der Romanusplatz nach Nazi-Opfern benannt und ein paar Gedenktafeln angebracht, aber das war lange Zeit schon fast alles. Stattdessen wurde ein Denkmal, das sowjetische Kriegsgefangene nach der Befreiung vor dem Hauptfriedhof errichtet hatten, in der Adenauer-Ära bei Nacht und Nebel abgerissen und vernichtet. Die sowjetische Botschaft wurde genötigt, als „Ersatz“ einem eher belanglosen Text auf einem weniger auffälligen Gedenkstein an dem größten Massengrab zuzustimmen. Diese Anlage wurde in der Folge oft vernachlässigt. Es blieb häufig Bochumer Fraueninitiativen und Schulklassen überlassen, diese Anlage etwas würdiger zu gestalten.

Dazu kam: Dokumente über die „Arisierung“ jüdischen Besitzes wurden versteckt und viele Unterlagen über die vielen Zwangsarbeitslager vernichtet. Als es endlich Entschädigungen gab, hatten die wenigen Überlebenden große Probleme, ihre Ansprüche nachzuweisen.

Auch das Gedenken an die antisemitische Pogromnacht von 1938 ist nicht unbedingt ein Ruhmesblatt. Oft hatten wir den Eindruck, dass es sich für Bochums politische Führung eher um eine Alibiveranstaltung handelte. Zu Zeiten des OB Stüber wagte es ein Gewerkschaftsfunktionär, in seiner Rede daran zu erinnern, dass die Nazis nicht allein Juden, sondern auch Kommunisten und Sozialdemokraten verfolgt und ermordet hatten. Gleich danach wurde er hinter der Bühne von Stüber wegen dieser Abweichung vom vorgegebenen Thema zusammengestaucht. Derselbe OB schubste – in einem anderen Jahr – den damaligen VVN-Vorsitzenden Klaus Kunold brüsk zur Seite, als er neben der Gedenktafel in der Huestraße den Kranz der VVN aufhängen wollte.

Auf unseren Veranstaltungen hier auf dem Hauptfriedhof ließ sich viele Jahre lang kein Vertreter der Stadt sehen. Über die Gräber der Bombenopfer kamen sie oft nicht hinaus. Sicher muss man auch dieser Toten gedenken. Letztlich waren sie Opfer eines Krieges, den die Nazis angezettelt hatten. Aber Widerstand und Verfolgung waren ein Thema, das lange Zeit niemanden im Rathaus besonders interessierte. Es bedurfte jahrelangen Nachbohrens, bis dieser Ehrenrundplatz mit den Gräbern ermordeter Kommunisten angemessen gestaltet wurde. Und zahlreiche Dokumentationen über Zwangsarbeit, Judenverfolgung und politischen Widerstand haben Mitglieder und Freunde der VVN in Eigenregie erstellt. Ebenso verhält es sich mit den Stadtrundgängen zu Orten der Verfolgung. Immer lag es an uns, Druck zu erzeugen.

So war es fast schon ein politisches Erdbeben, als Stübers Nachfolgerin Ottilie Scholz als Oberbürgermeisterin auf einer Jubiläumsfeier der VVN erschien, um sich im Namen der Stadt für unsere Aufklärungsarbeit zu bedanken. Und auch im Stadtarchiv wehte unter der Leitung von Ingrid Wölk endlich ein frischer Wind.

An dieser Stelle gebührt auch dem Bochumer Gefängnispfarrer Alfons Zimmer Dank und Anerkennung. Er hat nach jahrelangen Recherchen die „Krümmede“ als einen weiteren Ort der Verfolgung beschreiben können. Neben seiner täglichen Arbeit hat er hartnäckig die Lebensläufe politischer Gefangener der Nazis erforscht und diese Menschen in einer großen Ausstellung vor dem endgültigen Vergessen bewahrt. Für Frau Wölk war das der Anstoß, im Stadtarchiv zu diesem Thema eine ganze Veranstaltungsreihe zu organisieren, die großen Anklang fand.

Die Diskussionen um den 8. Mai halten noch immer an. Die hier begrabenen Naziopfer hätten ihn wie ihre überlebenden Kameraden und alle Antifaschisten mit Sicherheit als Befreiung erlebt – und er müsste endlich auch von den politisch Verantwortlichen als Datum der Befreiung vom Faschismus begriffen werden. Damit der 8. Mai endlich ein bundesweiter Feiertag wird.

(Redebeitrag nach Stichwörtern rekonstruiert)