Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance
Eine Stadt solidarisch – Nazis keine Chance

„Die Russen und der Krieg“

Reinhard Junge, VVN-BdA Bochum, Rede beim Gedenkrundgang zum Tag der Befreiung 2021 auf dem Friedhof am Freigrafendamm

Liebe Freundinnen und Freunde! Oder, wie die Nazigegner im KZ sich angeredet haben: Liebe Kameradinnen und Kameraden!

1. Wie ihr wisst, hat die VVN-BdA im letzten Jahr um ihre Existenz kämpfen müssen. Der Verfassungsschutz Bayern hat uns als „linksextremistisch“ deklariert und die Finanzbehörden in Berlin haben uns deshalb die „Gemeinnützigkeit“ entzogen und zu Steuernachzahlungen von vielen Tausend EURO verdonnert. Viele Menschen haben sich mit uns solidarisch erklärt, Geld gespendet oder sind demonstrativ Mitglied geworden. Jetzt ist dieser Bescheid vom Tisch. Unser Dank gilt allen, die uns in diesem Kampf unterstützt haben.

2. Vor uns liegen die Jahrestage von zwei historischen Ereignissen: Am 21. Juni ist es 80 Jahre her, dass Nazi-Deutschland die Sowjetunion überfallen hat – und am 8. Mai 1945 mussten die Nazigeneräle vor der Sowjetarmee kapitulieren. Zusammen mit den Alliierten des Westens hat die Rote Armee Europa vom Hitlerfaschismus befreit und diesen schrecklichen Krieg beendet. Meine hier bestatteten Genossen haben diesen Tag leider nicht mehr erlebt. Dass wir hier heute frei darüber reden können – das verdanken wir auch den tapferen Soldat:innen, die ihre sowjetische Heimat gegen Wehrmacht und SS verteidigt haben.

3. Nach 1945 war Europa geteilt – in einen kapitalistischen und einen sozialistischen Teil. Der folgende Kalte Krieg zwischen beiden Lagern dauerte über 40 Jahre. Nach Ansicht vieler Menschen wurde er mit dem Untergang des Sozialismus und der Spaltung vieler Länder im Osten und Südosten beendet. Ich bin überzeugt, dass der Kalte Krieg immer noch existiert und er richtet sich vor allem gegen Russland – auch ohne Kommunisten in der Regierung ist dieses Land den Westmächten ökonomisch und militärisch immer noch ein Ärgernis, das sie gerne beseitigen wollen. Die in der Nazizeit forcierte Angst vor „den Russen“ wird weiterhin gepflegt.

3. „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges.“ – Rudyard Kipling. Ich möchte ergänzen: Die Wahrheit wird schon bei der Vorbereitung von Kriegen getötet. Im Schatten der berechtigten Anstrengungen gegen Corona verschwindet nicht nur die Forderung, den 8. Mai zum Feiertag zu erheben, aus dem Bewusstsein der meisten Menschen. Vom Klimaschutz ist kaum noch die Rede, NRW-Laschet plant fast unbemerkt ein neues Versammlungsgesetz, das angeblich – ich muss beide Texte noch lesen, härter als das der Bayern sei und einem Versammlungsverbot nahekomme, im Jemen und im Nahen Osten toben schreckliche Kriege – und auch die Kriegsgefahr in Europa wächst. Auch hier ist angeblich „der Russe“ schuld.

4. Wir müssen mal 32 Jahre zurückblicken. Da haben Kanzler Kohl und Präsident Gorbatschow beschlossen, die DDR von der Landkarte zu tilgen. Als Gegenleistung versprach Kohl, keine Osterweiterung der NATO zu dulden. Gorbatschow war so, na, sagen wir, naiv, das mit einem Handschlag „unter Männern“ zu besiegeln, anstatt sich das schriftlich geben zu lassen. Resultat: Die russischen Soldaten sind 1000 km weit nach Osten gezogen, die US-Truppen mit ihren Atomwaffen stehen noch immer im Land und die NATO veranstaltet Manöver im Baltikum, wo zumindest die Letten jetzt ihrer SS-Division ein Denkmal gesetzt haben. Ihr neuer Feind sind „die Russen“.

Das findet auch Präsident Biden. Er hat gestern unter Berufung auf das Völkerrecht die Rückgabe der Krim an die Ukraine gefordert. Aber wie ist die Krim überhaupt an die Ukraine gekommen? Der vormalige Ministerpräsident Chruschtschow hat sie seiner Heimat Ukraine per Erlass geschenkt? Völkerrecht? Man könnte in diesem Zusammenhang auf das US-KZ in Guantanamo verweisen, wo seit 20 Jahren angebliche Terroristen ohne Anklage und Prozess festgehalten werden. Aber die Guantanamo-Bucht wurde 1934 den USA geschenkt – von einem korrupten kubanischen Präsidenten, der sich als Gegenleistung Hilfe gegen seine Gegner erhoffte. Völkerrecht?

Nicht nur die konservativen Balten halten Russland für eine Gefahr. Die USA werden nicht müde, das zu behaupten. Aber vergleichen wir mal zwei Zahlen: Die USA unterhalten überall auf der Welt über 1100 Militärstützpunkte – Russland etwa 20. Einen in Vietnam, zwei in Syrien – und die übrigen in 9 ehemaligen Sowjetrepubliken. Wer hat wohl mehr Grund, sich bedroht zu fühlen.

5. Gestattet mir noch einen Rückblick: Bis 1990 pochten auch unsere Politiker unablässig auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Gemeint war: Die UdSSR solle die anderen sozialistischen Länder endlich in die Freiheit entlassen. Seit 1990 habe ich dieses Wort nicht mehr gehört. Statt dessen maßen sich die USA und die NATO, die EU und die Bundesregierungen an, in anderen Ländern einen Regimewechsel zu fordern und zu fördern. Nicht bei Bolsonaro in Brasilien, nicht bei Pascha Erdogan, nicht bei den Kopf-ab-Diktaturen der Saudis und der anderen arabischen Ölfürsten. Sondern in China, Russland, Argentinien und Kuba. In Ländern also, die der „America-First-Politik“ der USA im Wege stehen. Wie glaubwürdig ist das? Geht es ihnen wirklich um Menschenrechte? Was bei diesem Export der Demokratie nach US-Muster herauskommt, kann man in Libyen, dem Irak und in Afganistan besichtigen.

6. In diesem Zusammenhang ist die Berliner Politik nicht besser. Seit dem Anschluss der DDR haben „wir“ angeblich eine größere Verantwortung in der Welt. Gemeint ist eher die Treue zur Politik der USA. Und zum ersten Mal nach 1945 beteiligt sich eine deutsche Armee an Militäreinsätzen im Ausland. Zurzeit sind 3500 Soldat:innen an 13 verschiedenen Stellen der Erde präsent oder im Einsatz: im Mittelmeer, bei der Blockade des Gaza-Streifens, im Persischen Golf – und dieses Jahr soll die Fregatte Bayern im chinesischen Meer zusammen mit der US-Marine die Sanktionen gegen Nordkorea und „wichtige Seewege sichern“.

Gegen wen? Annegret KKB verweist auf Piraten. Und wenn’s gegen „die Russen“ geht, findet Frau KKB, mit ihnen verhandele man besser aus einer „Position der Stärke“ heraus. Das hat schon mal jemand gedacht. Was dabei herausgekommen ist, kann man auf den Fotos von Köln, Berlin und Bochum aus dem Jahre 1945 besichtigen.

27 Millionen Menschen hat die UdSSR zwischen 1941 und 45 verloren. In den meisten Dokus zum 2. Weltkrieg, die man täglich auf Fernsehsendern wie DIE WELT oder N-TV sehen kann, taucht die Rote Armee aber – wenn überhaupt – nur in Nebensätzen auf. Ihr Beitrag am Sieg über den Faschismus soll wohl vergessen werden. Wir sind auch hier, damit so etwas nicht passiert.

Zum Abschluss ein Gedicht von Jewegeni Jewtuschenko (1932-2017)

Meinst du, die Russen wollen Krieg?
(Jewegeni Jewtuschenko)

Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Befrag die Stille, die da schwieg
im weiten Feld, im Pappelhain,
Befrag die Birken an dem Rain.
Dort, wo er liegt in seinem Grab,
den russischen Soldaten frag!
Sein Sohn dir drauf Antwort gibt:

Meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen wollen Krieg?

Nicht nur fürs eig’ne Vaterland
fiel der Soldat im Weltenbrand.
Nein, daß auf Erden jedermann
in Ruhe schlafen gehen kann.
Holt euch bei jenem Kämpfer Rat,
der siegend an die Elbe trat,
was tief in unsren Herzen blieb:

Meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen wollen Krieg?

Der Kampf hat uns nicht schwach gesehn,
doch nie mehr möge es geschehn,
daß Menschenblut, so rot und heiß,
der bitt’ren Erde werd’ zum Preis.
Frag Mütter, die seit damals grau,
befrag doch bitte meine Frau.
Die Antwort in der Frage liegt:

Meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen wollen Krieg?

Es weiß, wer schmiedet und wer webt,
es weiß, wer ackert und wer sät –
ein jedes Volk die Wahrheit sieht:
Meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen woll’n,
meinst du, die Russen wollen Krieg?
Хотят ли русские войны?

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