Unsere Initiative ist überparteilich und Mitglied im Bochumer Bündnis gegen Rechts.
Unser Anliegen ist es, im ehemaligen Zwangsarbeiter-Lager an der Bergener Straße einen würdigen Gedenk-, Erinnerungs- und Lernort zu den NS-Verbrechen am Beispiel der Zwangsarbeit in Bochum zu schaffen und ein Zeichen gegen menschenverachtenden Rassismus zu setzen.
Wir mischen uns aktiv in die Lokalpolitik ein und fordern Transparenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft.
Wir bieten Führungen für Interessierte zum Thema Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg an und arbeiten mit Jugendgruppen und Schulen zusammen.
Wir recherchieren, um lange Zeit Verborgenes und Verdrängtes aufzudecken und machen Öffentlichkeitsarbeit.
Von der ehemaligen Hauptverwaltung der Zeche Constantin aus fahren wir mit dem Rad zur Kaiseraue, über den Tippelsberg zum ehemaligen Kosthaus der Zeche. Von dort aus geht es weiter zum Ziel der Tour, dem früheren Zwangsarbeiterlager in der Bergener Str. 116 a-i, einem neuen Gedenkort für Bochum.
Nikolaj Storoschenko, mit 13 Jahren zusammen mit seinem Vater nach Bochum verschleppt, besuchte 1998 Bochum auf Einladung der Gesellschaft Bochum-Donezk. Seine brieflichen Zeugnisse ermöglichen es, seine Spuren im Bochumer Norden zur Zeit des Faschismus vor 80 Jahren zu verfolgen und verschaffen uns Einblick in das Lagersystem der Zeche Constantin. Welche Erfahrungen machte er bei seiner Arbeit, mit deutschen Kollegen und Vorgesetzten? Welche Entbehrungen musste er erleiden?
Bauliche Arbeiten an ehem. Kommandantur noch bis voraussichtlich Frühjahr 2025
Im Folgenden die Antwort der Verwaltung zur Anfrage der SPD Bochum-Nord zum Sachstand des Geländes – es braucht noch viel Geduld und auch zivilgesellschaftliches Engagement !
Foto: Myra Kaiser – Außenarbeiten an der ehem. Kommandantur im Juli 2024
Ende Juli 1944 – Barackenlager Bergen, abschließende Bauarbeiten
“Fertigstellung der Restarbeiten. Anstreicher und Schreinerarbeiten der zuletzt aufgestellten Mannschaftsbaracke. Zur Zeit sind 2 Mann beschäftigt. Fertigstellung Ende Juli 1944. Lager kann nach Fertigstellung mit 680 Mann belegt werden”. (Quelle: Raulff Juli 1944, montan.dok BBA 20/2825)
Der damals 13-jährige (!) ZwangsarbeiterNikolaj Storoschenko aus der Ukraine
war einer der ersten Bewohner des Lagers in der Bergenerstr. 1998 besuchte er Bochum auf Einladung der Gesellschaft Bochum-Donezk e.V, die seit 1992 Zwangsarbeitergruppen aus Donezk einlud. Sein größter Wunsch war es, das Grab seines Vaters zu finden, der bereits 1943 durch die harte Arbeit, Schläge und mangelnde Ernährung mit vierzig Jahren auf der Zeche Constantin ums Leben kam. Seine Biographie sollte uns Mahnung gegen Rassismus und Ermutigung zur Völkerverständigung zugleich sein. Dank seiner rückblickenden Erinnerungen haben wir wertvolle Informationen zur Zwangsarbeit auf Zeche Constantin und deren Lagern in der NS-Zeit erhalten. Diese gilt es heutigen Jugendlichen für die Zukunft einer wehrhaften Demokratie weiterzuerzählen!
Besuchergruppe aus Donezk 1998, N. Storoschenko (2.v.re.)
Fotos: Archiv Gesellschaft Bochum-Donezk e.V.
Nächste Führungen der Initiative “Gedenkort Bergen” (BgR) mit der VHS:
“Ich schreibe Ihnen, weil ich während des Krieges nach Deutschland verschleppt wurde und mich in der Stadt Bochum befand. Zuerst an der Kaiseraue, von 1942 bis 1943, danach auf dem Gelände des Schachtes Nr. 10. Auf dieser Schachtanlage wurde nicht gearbeitet, deshalb wurde dort unser Lager eingerichtet. 1944 wurden Baracken für das Lager Bergen an der Bergenerstr. gemacht. Meine Lager- und Arbeitsnummer war N-4007.” (Nikolaj Storoschenko, Mai 1997 an Waltraud Jachnow)
Blick auf den Weg der Zwangsarbeiter vom Lager der Bergenerstr. zu Schacht X und Schacht 4/5
Die Schachtanlage 8/9 der Zeche Constantin, heute Kletterzentrum Neoliet in Bochum-Riemke, fehlt hier
Fotos: M. Kaiser, 26. Mai 2024; Ausschnitt von Wandkarte: Das Ruhrgebiet und Umgebung, Störmer 1953
“Mein Vater starb (1943) auf Grund der schweren Arbeit, der Unterernährung und der Schläge durch die Polizei, die das Lager bewachte.”
– Nikolaj Storoschenko zum Schicksal seines Vaters Dimitrij Storoschenko –
Dimitrij Storoschenko, der bis zu seinem Tod im Ukrainerlager auf Schacht 10 in der ehemaligen Waschkaue untergebracht war und auf Schacht 6/7 arbeitete, starb nach wenigen Monaten an den Misshandlungen im Februar 1943 und wurde auf dem Hauptfriedhof Freigrafendamm in Bochum beigesetzt.
Wieviel tote Zwangsarbeiter aber insgesamt zu beklagen waren, ist bislang weder für einzelne Betriebe oder Zechen noch für Bochum insgesamt dokumentiert!
Für deren große Anzahl seien stellvertretend zwei Opfer genannt, die auf dem Südfriedhof in Herne beigesetzt wurden und über deren Urkunden wir verfügen:
Iwan Emelit, geb. in Harlowka-Stalino am 8. 4. 1904, hat als sog. Zivil-Russe mit der Markennr. 2312 vom 14.4.1942 auf der Schachtanlage 4/5 der Zeche Constantin gearbeitet und starb schon nach 2 Monaten am 7.6.1942.
Und das Baby Ludmilla Hubry, geb. am 22. Febraur 1944, die zuletzt laut den Akten des Evangelischen Krankenhauses in der Bergenerstr. wohnhaft war. Ludmilla wurde am 21.12.1944 mit der Diagnose: Herz- und Kreislaufschwäche, Masern Bronchopneumonie, Otitis med. dupl. eingeliefert und verstarb dort kurze Zeit später am 8. Januar 1945 um 10.30 Uhr.
Wer waren ihre Eltern und wie waren die Lebensumstände und Überlebenschancen von Kindern im unmenschlichen NS-Lagersystem? Überraschende neue Funde und noch viele offene Fragen!
War Paulina Hubrij, die im Januar 1944 vom Lager Kantstr. in Herne zum sog. Kosthaus der Zeche Constantin Schacht 6/7, Hiltroperstr. 230, heute Weg am Kötterberg in Bochum-Grumme, verlegt wurde, die Mutter von Ludmilla Hubry?
Britische Karte 1944, Quelle: Bildarchiv der Stadt Bochum
Kriegsgefangene stehen unter Bewachung der Wehrmacht und werden in primitiven Holzbaracken untergebracht
So berichtet Baumeister Raulff an die Direktion: „Für die 1.400 Kriegsgefangenen auf Grund der Fördersteigerung 1943 wurden insgesamt 92 Barackeneinheiten bestellt.“ (Betrifft Rundschreiben vom 6.4.1943, montan.dok BBA 20/2883). Ihre prekäre Unterbringung wird in folgenden Überlegungen deutlich: anstelle von für 150-250 Zivilarbeitern könnten die Baracken mit 250- 350 Kriegsgefangenen belegt werden. Für die Abortbaracke wird angemerkt, dass die Verwendung von Spülklosetten nach den Richtlinien für die behelfsmäßige Kriegsbauweise zu vermeiden sei. Bei der Ausstattung könne man auch einen Unterschied machen zwischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen z. B. 1 Waschschüssel für 2 Zivilarbeiter und 1 Waschschüssel für 3 Kriegsgefangene (Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr, montan.dok BBA 20/411).
Am Sonntag, den 17.3. 2024, zeitgleich zu den Scheinwahlen in Russland und dem Protest der Opposition vor den Wahllokalen um 12 Uhr Moskauer Zeit, fand am ehemaligen Zwangsarbeiterlager für „Ostarbeiter“ (v.a. Russen und Ukrainer) der Zeche Constantin die erste diesjährige Führung in Bochum-Bergen statt.
Foto: S. Wycisk, März 2024
Das große Interesse und die Ideen der etwa 35 Besucher*innen zu dem, was sie sich für den Ort wünschen, tragen deutlichen Aufforderungscharakter gegenüber der Stadt als Eigentümerin: „Den Ort in der Bochumer Bürgerschaft präsenter machen“, „die Siedlung wiederbeleben“ oder „den wichtigen Gedenkort, auch für nachfolgende Generationen“ erhalten. Zum Beispiel könnte ein Barackenzug so umgestaltet werden, „dass man sich vorstellen kann, wie die Menschen hier gelebt haben“.
Stattdessen passiert seit Monaten aber nichts: Baustopp an der ehemaligen Kommandantur nach Entkernung und Schadstoffsanierung im Herbst 2023. Die teils bewohnten Gebäude der langjährigen Bewohner sind trotz Auftrag an die Verwaltung weder winterfest gemacht, noch wurde die Sanierung begonnen. Es gibt immer mehr Leerstand. Die Dächer, die Außenfassaden und das Gelände sehen ungepflegt und runtergekommen aus. Nur Spuren der Bodenarchäologie führen zu verschiedenen Bohrungen, zu dem unter Denkmalschutz stehenden Deckungsgraben – der Eingangsbereich ist gefüllt mit Sondermüll wie Ölkanistern.
Wie neue Funde zu Zwangsarbeiterinnen der Zeche Mont Cénis durch Céline Spieker, Lehrerin an der Mont-Cenis-Gesamtschule in Herne zeigen, war Ludmilla Hubry, vermutlich Tochter der Zwangsarbeiterin Paulina Hubrij (*04.07.1917 in Kaminiez Podolsk, Ukraine). Diese wurde am 03.01.1944 vom Lager Kantstr. der Zeche Mont Cénis, die seit 1939 zur Gewerkschaft Constantin gehörte, ins Kosthaus der Zeche Constantin in Bochum Grumme, verlegt und brachte dort ca. 7 Wochen später am 22.02.1944 Ludmilla zur Welt. Ludmilla verstarb dann bereits mit 10 Monaten am 08.01.1945 im Evangelischen Krankenhaus (EvK) und wurde auf dem Südfriedhof Herne (Abtlg. 47/Grabnr. 72) beerdigt.
Als Todesursachen wurden folgende Erkrankungen des Babys angegeben: “Herz- und Kreislaufschwäche, Masern, Bronchopneumonie, Otitis med. dupl.” (Qu. EvK Herne)
arolsen archives DOCID:77086328,
DocID: 7598899, DocID:70662862 (EvK Herne s.u.)
Wie kam es zu ihrem Tod unter den Lagerbedingungen auf Constantin? Welche Fürsorge erhielten Schwangere und Kinder?
Ludmilla soll im Lager Bergenerstr. gelebt haben. Wer war ihr Vater und wer hat sich dort um sie gekümmert?
War sie das einzige Kleinkind oder gab es vor Ort noch mehr Kinder?
Schwangerschaft – kein Einzelfall!
Eine Zwangsarbeiterin Maria hatte sich mit einem russischen Kriegsgefangenen Boris (vermutlich aus dem Lager Zillertal, Erg. W.J.) angefreundet, als er mit einer Gruppe zum Dampfbad, zur Desinfektion kam. Sie wurde schwanger. Boris kam bei einem Bombardement auf sein Lager ums Leben. Ob Maria im Krankenhaus oder im sog. Kosthaus von Constantin entbunden hat, weiß Jekaterina Okunewa nicht zu berichten. Auf jeden Fall hat sie mit dem Baby später im Kosthaus gewohnt. Frau Zibula hat sie betreut, wie sie auch alle Kranken betreut hat. Sie wohnte nicht im Kosthaus, ob sie Ärztin oder Krankenschwester war, ist nicht bekannt.
Quelle: Video, Stadtarchiv Bochum, Mitschrift zum Interview von Jennemann-Henke mit Jekaterina Okunewa, Bochum 2004
Interessante Datenbank mit Material u.a. zum Arnoldhaus, dem Wöchnerinnenheim der Fa. Krupp in Essen sowie der Kinderbaracke “Buschmannshof” in Voede siehe: http://www.krieggegenkinder.de
„Gearbeitet habe ich in einer Ziegelei, ich habe die Schubkarre mit Ziegelsteinen gefahren. Die Bewacher schrien: Los, los! Aber wir fielen um vor Erschöpfung. Später überführten sie uns auf eine Schachtanlage, wo wir den Abraum wegräumten und den Metallbruch sammelten. Wir wurden die ganze Zeit von Männern mit Schäferhunden bewacht.
Ende 1943 oder Anfang 1944 wurde ein neues Lager gebaut. Hier waren Polen. Im Lager gab es einen Feuerlöschteich, das war nötig wegen der Bombenangriffe. Meine (Marken-)Nummer war 4002, mit dem Familiennamen wurden wir von niemandem angeredet.“
Wiktor Jerochin (*24.11.1924, Ukraine), arbeitete von März 1942 – Mai 1945 auf Zeche Constantin Schacht 6/7, aus: W. Jachnow et al, …und die Erinnerung tragen wir im Herzen, Bochum 2002, S. 197(gekürzt)
Schichtwechsel der deutschen Belegschaft 1939, Zeche Constantin Schacht 6/7, Hiltroperstr. Foto: 100 Jahre Gewerkschaft Constantin d. Gr.1849-1949
Bei einem Rundgang
auf dem noch bewohnten Gelände werden anhand von anschaulichen Dokumenten die Geschichte der Entstehung des Lagers, die Herkunft und das Leben der hier untergebrachten Zwangsarbeiter – die besonders harten Arbeits- und Lebensbedingungen auf der Krupp-Zeche „Constantin der Große“ erfahrbar. Die Teilnehmenden bekommen einen deutlichen Einblick in das verbrecherische System der Zwangsarbeit während der Zeit des Nationalsozialismus, das von Menschenraub, Ausbeutung und Unterdrückung geprägt war.
Sonntag, 17. März 2024, 14:00 Uhr, ca. 1,5 Std.
Anmeldung: VHS-Bochum 0234-910-1555
Treff: Infotafel, Bergener Str. 116 a-i
Eine Kooperation des Bochumer Bündnis gegen Rechts mit der VHS- Bochum.
Bitte beachten: Führungen finden nur im Außenbereich statt.Toiletten sind vor Ort nicht vorhanden!
Hinterfront von Constantin 6/7Das ehemalige KosthausHeute: Weg am KötterbergKosthaus Constantin 6/7- ehem. LedigenheimGroßküche Zeche Caroline mit Zwangsarbeiterinnen
Jekaterina Okunewa (geb. Seroschtan,li.) und Soja Solomkina (geb. Komnik) besuchten 2004 Bochum, wo sie ab dem 31.12.1943 im Kosthaus arbeiteten.
Jenakijewo, den 04. April 2004
Herkunft
Ich heiße Jekaterina Okunewa (geb. Seroschtan). Ich wurde am 20. November 1926 in Sidorowka Welikomichailowskij Rajon, Kurskaja Oblast [Oblast Kursk im südwestl. Russland, grenzt an die Ukraine, S.W.] in einer Bauernfamilie geboren. Wir waren vier Kinder – das Leben war sehr schwer (wir waren ganz arm). Im Jahre 1932 gab es eine Hungersnot und meine Eltern mussten umziehen, um uns Kinder zu retten. Meine jüngere Schwester verstarb an dem Hunger und wir waren angeschwollen wegen des Hungers.
Wir kamen in Jenakijewo an. Unser Vater arbeitete in einem Werk. Er machte allerschwerste Arbeit am Hochofen, um uns zu ernähren. Meine Mutter konnte nicht arbeiten, weil sie krank war. Ich und mein Bruder Ivan gingen in die Schule und lernten in derselben Klasse, obwohl ich nur 8 und er schon 10 Jahre alt war. Er konnte nicht früher anfangen, weil er keine Kleidung und Schuhe hatte. Ich beendete 1941 die 7.Klasse und der Krieg fing an. Unsere Stadt wurde von den Deutschen besetzt. Wir lebten zusammen mit unserer Mutter. Der Vater war an der Front.
Verschleppung nach Westfalen
Im April 1942 wurden ich und mein Bruder Ivan nach Deutschland verschleppt. Bis zur Eisenbahnstation in Jassinowataja mussten wir unter Bewachung zu Fuß gehen. Dort warteten wir 2-3 Tage. Dann mussten wir in die Güterwaggons. Wir waren 10-12 Tage unterwegs. Wir hatten Hunger. Wir kriegten ganz wenig zu Essen. Das war ein Minimum, damit wir unterwegs nicht sterben. Ich wurde von meinem Bruder getrennt. Er musste nach Essen, wo er in einer Zeche arbeitete. Und ich landete in der Stadt Westfalia an der Weser, Bonneberg 21 (ich erinnere mich genau an diese Adresse) [gemeint ist Westfalen; Bonneberg 21 ist dem Namen Fincke in Vlotho zugeordnet, Finke, Wilhelmstr. 16, Qu: wiki.genealogy.net, S.W.]. Der Bauer hieß Hermann Finke. Er war ungefähr 35-40 Jahre alt. Er hatte 4 Kinder: zwei Mädchen Erna und Frida (11-12 Jahre alt) und zwei Jungen Werner und Hermann (7-8 Jahre). Es hat noch einen alten Opa und seine Schwester Albina gegeben. Sie war ganz alt. Ich kenne den Vornamen der Wirtin nicht. Wir nannten sie Frau Finke. Sie hatten 6 Kühe, Hühner und viele Schweine. Auf diesem Bauernhof waren auch polnische Arbeiter Stanislav Smiatkovski und Bronislava Tomaschewska. Sie waren älter als ich und machten die ganze schwere Arbeit. Sie hatten Mitleid mit mir, weil ich 15 1/2 Jahre alt war. Der Wirt und die Wirtin waren gut zu uns. Es ging uns besser als den Ostarbeitern, die für andere Bauern arbeiteten.
Arbeit und Lebenim Kosthaus in Bochum
Im Dezember 1942 wurde ich nach Bochum versetzt. Ich war im Lager Konstantin – Kosthaus, Hiltroperstraße 230. Wir waren 35 – 40 Leute. Wir arbeiteten in einer Küche. Die Älteren waren nicht gerecht zu uns Minderjährigen und gaben uns die schwerste Arbeit, die uns über die Kräfte ging. Wir mussten schwere Kisten voll von Gemüse tragen, riesengroße Kessel bewachen, große Kannen mit dünner Suppe in die Lastkraftwagen laden, die dann zu den zahlreichen Zechen gebracht wurden (es hat sehr viele Zechen in Bochum gegeben). In den Zechen arbeiteten unsere russischen Kriegsgefangenen. Wir mussten manchmal auch andere Arbeit erfüllen z.B. Arbeit in der Fabrik, wo Gemüse gedörrt wurde, oder in der Zeche, wo wir Müll beseitigen mussten. Die Arbeit war schwer und wir erhielten nur 200g Brot pro Tag und dünne Suppe in unbeschränkter Menge.
In demselben Gebäude befand sich auch ein Dampfbad für Kriegsgefangene. Jeden Tag wurden Kriegsgefangene dorthin gebracht. Dort wurden sie gewaschen und ihre Kleidung wurde mit Dampf behandelt. Und dann mussten wir in dieser Höllenhitze aufräumen. Jedes Mal sahen wir diese bewachten Kolonnen und brachten einige Krankentragen. Die Kriegsgefangenen waren ganz entkräftet und manche von ihnen starben. Dann wurden sie mit Hilfe der Krankentrage zurückgetragen. In diesem Lager traf ich mich mit Soja Solomkina (geb. Komnik). Wir kommen aus einer Stadt und sind auch jetzt befreundet. Wir erinnern uns an die schweren Jahre unserer Jugend.
Erniedrigung und Unterstützung
Der Arbeitgeber hieß Herr Strafmann. Seinen Vornamen kennen wir nicht. Die Wirtin nannten wir Frau Strafmann [Wilhelm Stratmann war dort als Magazinverwalter gemeldet und war für die Lager zuständig, S.W.]. Sie war eine sehr strenge Person, sie war ganz boshaft. Wir hatten Angst vor ihr. Sie war 45-50 Jahre alt. Sie hatten keine Kinder. Sie war lahm und hinkte an einem Bein. Der Polizist hießt August (ich weiß nicht, ob das sein Vor- oder Familienname ist). Er lief hin und her und schlug mit seiner Peitsche auf seine Stiefel. Er war jung und wollte uns so schrecken. Es hat auch eine Aufseherin gegeben. Sie hieß Zibula (ich weiß nicht, ob das ihr Vor- oder Familienname war). Sie war gut – sie machte nichts Böses. Es hat auch Frau Graf gegeben. Sie lud uns zu sich nach Hause ein und wir tranken Tee bei ihr, sie bewirtete uns. Sie hatte 2 Töchter. Sie hatte keinen Mann. Sie wohnte unweit von unserem Lager. Während der Luftangriffe ließen uns die Deutschen nicht in ihren Luftschutzraum hinein und wir versteckten uns im Keller in unserem Lager. Einmal traf eine Sprengbombe unser Wohnheim und es ging in Flammen auf. Wir wohnten im Keller bis unser Haus repariert wurde. Ich erinnere mich auch an alle Mädchen von der Krim. Sie sangen ganz traurige Lieder, saßen und weinten, erinnerten sich an die Heimat. Ich besuchte sie im Jahre 1967 auf der Krim*. Jetzt sind viele von ihnen schon verstorben. [* 2005 nahm Ivanova Valentyna von der Krim an dem Besuchsprogramm der Stadt Bochum teil. Sie war ebenfalls als Küchenhilfe auf der Zeche Constantin d. Große tätig. S.W.]
Befreiung und Rückkehr
Wir wurden von den Amerikanern am 04.04.1945 befreit. Sie brachten uns in die Stadt Magdeburg an der Elbe. Dort wohnten wir eine kurze Zeit in einem Lager bis wir im Oktober 1945 nach Hause kamen.
Ich arbeitete nach dem Krieg in Jenakijewo in einem Eisenhüttenwerk als Elektrikerin. Jetzt bin ich Rentnerin. Mein Mann verstarb 1998. Jetzt wohne ich allein. Meine Monatsrente beträgt 30 Euro. Wenn ich erkranke und Arzneien brauche, dann sind sie zu teuer für mich. Die kommunalen Leistungen sind auch teuer. Es ist sehr schwer, von solcher Rente zu leben.
Ich bin dankbar dafür, dass man mich gefunden hat. Ich möchte ganz gerne Orte in Deutschland besuchen, wo ich lebte und arbeitete und einige Jahre meines schweren Schicksals verbrachte.
Quelle: Gesellschaft für ehemalige minderjährige Zwangsarbeiter, Donezk
Anmerkung: Zwischenüberschriften und Kommentare wurden nachträglich ergänzt, S.W.
Dankesbrief zu Spenden für die 10 noch lebenden Zwangsarbeiter aus Donezk, im Dezember 2023
Alle bedanken sich ganz herzlich. Dies ist eine sehr wertvolle Unterstützung zwischen den Jahren. Man dürfte sich jetzt nicht nur aufs Nötigste fokussieren, sondern sich auch etwas für die feierliche Stimmung leisten. Juriy Samsonenko schreibt, dass er vom Krieg sehr deprimiert ist. Ekaterina Okuneva ist schon 97 Jahre alt, sie schreibt, dass sie oft Bluthochdruck und Kopfschmerzen hat und viel Geld für Medikamente ausgeben muss. Es ist schon 19 Jahre her, als sie in Bochum war, aber sie erinnert sich noch an die Momente aus der Zeit. Es tut allen wahnsinnig gut, einfach nicht vergessen zu werden. (Brief aus Donezk im Dezember 2023 an Waltraud Jachnow)
Der Bericht von der Leidensgenossin Soja Solomkina (geb. Komnik) hier zum Herunterladen: