Selbstverständnis der Initiative Gedenkort Bochum-Bergen

  • Unsere Initiative ist überparteilich und Mitglied im Bochumer Bündnis gegen Rechts.
  • Unser Anliegen ist es, im ehemaligen Zwangsarbeiter-Lager an der Bergener Straße einen würdigen Gedenk-, Erinnerungs- und Lernort zu den NS-Verbrechen am Beispiel der Zwangsarbeit in Bochum zu schaffen und ein
    Zeichen gegen menschenverachtenden Rassismus zu setzen.
  • Wir mischen uns aktiv in die Lokalpolitik ein und fordern Transparenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft.
  • Wir bieten Führungen für Interessierte zum Thema Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg an und arbeiten mit Jugendgruppen und Schulen zusammen.
  • Wir recherchieren, um lange Zeit Verborgenes und Verdrängtes aufzudecken und machen Öffentlichkeitsarbeit.

Näheres zum Lager Bergener Straße

Aktuelles

1.165 sowjet. Kriegsgefangene im Zillertal – die größte Opfergruppe unter den Zwangsarbeitern

Britische Karte 1944, Quelle: Bildarchiv der Stadt Bochum

Kriegsgefangene stehen unter Bewachung der Wehrmacht und werden in primitiven Holzbaracken untergebracht

So berichtet Baumeister Raulff an die Direktion: „Für die 1.400 Kriegsgefangenen auf Grund der Fördersteigerung 1943 wurden insgesamt 92 Barackeneinheiten bestellt.“ (Betrifft Rundschreiben vom 6.4.1943, montan.dok BBA 20/2883). Ihre prekäre Unterbringung wird in folgenden Überlegungen deutlich: anstelle von für 150-250 Zivilarbeitern könnten die Baracken mit 250- 350 Kriegsgefangenen belegt werden. Für die Abortbaracke wird angemerkt, dass die Verwendung von Spülklosetten nach den Richtlinien für die behelfsmäßige Kriegsbauweise zu vermeiden sei. Bei der Ausstattung könne man auch einen Unterschied machen zwischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen z. B. 1 Waschschüssel für 2 Zivilarbeiter und 1 Waschschüssel für 3 Kriegsgefangene (Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr, montan.dok BBA 20/411).

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Erst verdrängt, dann vergessen und nun verschleppt – Ein emotionaler Ort!

Am Sonntag, den 17.3. 2024, zeitgleich zu den Scheinwahlen in Russland und dem Protest der Opposition vor den Wahllokalen um 12 Uhr Moskauer Zeit, fand am ehemaligen Zwangsarbeiterlager für „Ostarbeiter“ (v.a. Russen und Ukrainer) der Zeche Constantin die erste diesjährige Führung in Bochum-Bergen statt.

Foto: S. Wycisk, März 2024

Das große Interesse und die Ideen der etwa 35 Besucher*innen zu dem, was sie sich für den Ort wünschen, tragen deutlichen Aufforderungscharakter gegenüber der Stadt als Eigentümerin: „Den Ort in der Bochumer Bürgerschaft präsenter machen“, „die Siedlung wiederbeleben“ oder „den wichtigen Gedenkort, auch für nachfolgende Generationen“ erhalten. Zum Beispiel könnte ein Barackenzug so umgestaltet werden, „dass man sich vorstellen kann, wie die Menschen hier gelebt haben“.

Stattdessen passiert seit Monaten aber nichts: Baustopp an der ehemaligen Kommandantur nach Entkernung und Schadstoffsanierung im Herbst 2023. Die teils bewohnten Gebäude der langjährigen Bewohner sind trotz Auftrag an die Verwaltung weder winterfest gemacht, noch wurde die Sanierung begonnen. Es gibt immer mehr Leerstand. Die Dächer, die Außenfassaden und das Gelände sehen ungepflegt und runtergekommen aus. Nur Spuren der Bodenarchäologie führen zu verschiedenen Bohrungen, zu dem unter Denkmalschutz stehenden Deckungsgraben – der Eingangsbereich ist gefüllt mit Sondermüll wie Ölkanistern.

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Zur Geburt von Ludmilla Hubry am 22.2.1944 – ein viel zu kurzes Leben!

Wie neue Funde zu Zwangsarbeiterinnen der Zeche Mont Cénis durch Céline Spieker, Lehrerin an der Mont-Cenis-Gesamtschule in Herne zeigen, war Ludmilla Hubry, vermutlich Tochter der Zwangsarbeiterin Paulina Hubrij (*04.07.1917 in Kaminiez Podolsk, Ukraine). Diese wurde am 03.01.1944 vom Lager Kantstr. der Zeche Mont Cénis, die seit 1939 zur Gewerkschaft Constantin gehörte, ins Kosthaus der Zeche Constantin in Bochum Grumme, verlegt und brachte dort ca. 7 Wochen später am 22.02.1944 Ludmilla zur Welt. Ludmilla verstarb dann bereits mit 10 Monaten am 08.01.1945 im Evangelischen Krankenhaus (EvK) und wurde auf dem Südfriedhof Herne (Abtlg. 47/Grabnr. 72) beerdigt.

Als Todesursachen wurden folgende Erkrankungen des Babys angegeben: “Herz- und Kreislaufschwäche, Masern, Bronchopneumonie, Otitis med. dupl.” (Qu. EvK Herne)

arolsen archives DOCID:77086328,
DocID: 7598899, DocID:70662862 (EvK Herne s.u.)

Wie kam es zu ihrem Tod unter den Lagerbedingungen auf Constantin? Welche Fürsorge erhielten Schwangere und Kinder?

Ludmilla soll im Lager Bergenerstr. gelebt haben. Wer war ihr Vater und wer hat sich dort um sie gekümmert?

War sie das einzige Kleinkind oder gab es vor Ort noch mehr Kinder?

Schwangerschaft – kein Einzelfall!

Eine Zwangsarbeiterin Maria hatte sich mit einem russischen Kriegsgefangenen Boris (vermutlich aus dem Lager Zillertal, Erg. W.J.) angefreundet, als er mit einer Gruppe zum Dampfbad, zur Desinfektion kam. Sie wurde schwanger. Boris kam bei einem Bombardement auf sein Lager ums Leben. Ob Maria im Krankenhaus oder im sog. Kosthaus von Constantin entbunden hat, weiß Jekaterina Okunewa nicht zu berichten. Auf jeden Fall hat sie mit dem Baby später im Kosthaus gewohnt. Frau Zibula hat sie betreut, wie sie auch alle Kranken betreut hat. Sie wohnte nicht im Kosthaus, ob sie Ärztin oder Krankenschwester war, ist nicht bekannt.

Quelle: Video, Stadtarchiv Bochum, Mitschrift zum Interview von Jennemann-Henke mit Jekaterina Okunewa, Bochum 2004

Kind einer Zwangsarbeiterin Zeche Caroline 2, Bochum 1944
(Foto-Archiv: Waltraud Jachnow)

Interessante Datenbank mit Material u.a. zum Arnoldhaus, dem Wöchnerinnenheim der Fa. Krupp in Essen sowie der Kinderbaracke “Buschmannshof” in Voede siehe: http://www.krieggegenkinder.de

17. März 14 Uhr, Begehung des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Bochum-Bergen

„Gearbeitet habe ich in einer Ziegelei, ich habe die Schubkarre mit Ziegelsteinen gefahren. Die Bewacher schrien: Los, los! Aber wir fielen um vor Erschöpfung. Später überführten sie uns auf eine Schachtanlage, wo wir den Abraum wegräumten und den Metallbruch sammelten. Wir wurden die ganze Zeit von Männern mit Schäferhunden bewacht.

Ende 1943 oder Anfang 1944 wurde ein neues Lager gebaut. Hier waren Polen. Im Lager gab es einen Feuerlöschteich, das war nötig wegen der Bombenangriffe. Meine (Marken-)Nummer war 4002, mit dem Familiennamen wurden wir von niemandem angeredet.“

Wiktor Jerochin (*24.11.1924, Ukraine), arbeitete von März 1942 – Mai 1945 auf Zeche Constantin Schacht 6/7, aus: W. Jachnow et al, …und die Erinnerung tragen wir im Herzen, Bochum 2002, S. 197 (gekürzt)

Schichtwechsel der deutschen Belegschaft 1939, Zeche Constantin Schacht 6/7, Hiltroperstr.
Foto: 100 Jahre Gewerkschaft Constantin d. Gr.1849-1949

Bei einem Rundgang

auf dem noch bewohnten Gelände werden anhand von anschaulichen Dokumenten die Geschichte der Entstehung des Lagers, die Herkunft und das Leben der hier untergebrachten Zwangsarbeiter – die besonders harten Arbeits- und Lebensbedingungen auf der Krupp-Zeche „Constantin der Große“ erfahrbar. Die Teilnehmenden bekommen einen deutlichen Einblick in das verbrecherische System der Zwangsarbeit während der Zeit des Nationalsozialismus, das von Menschenraub, Ausbeutung und Unterdrückung geprägt war.

Sonntag, 17. März 2024, 14:00 Uhr, ca. 1,5 Std.

Anmeldung: VHS-Bochum 0234-910-1555

Treff: Infotafel, Bergener Str. 116 a-i

Eine Kooperation des Bochumer Bündnis gegen Rechts mit der VHS- Bochum.

Bitte beachten: Führungen finden nur im Außenbereich statt. Toiletten sind vor Ort nicht vorhanden!

Zentralküche von Constantin mit über 80 Ukrainerinnen – Frauen berichten

Jekaterina Okunewa (geb. Seroschtan,li.) und Soja Solomkina (geb. Komnik) besuchten 2004 Bochum, wo sie ab dem 31.12.1943 im Kosthaus arbeiteten.

Jenakijewo, den 04. April 2004

Herkunft

Ich heiße Jekaterina Okunewa (geb. Seroschtan). Ich wurde am 20. November 1926 in Sidorowka Welikomichailowskij Rajon, Kurskaja Oblast [Oblast Kursk im südwestl. Russland, grenzt an die Ukraine, S.W.] in einer Bauernfamilie geboren. Wir waren vier Kinder – das Leben war sehr schwer (wir waren ganz arm). Im Jahre 1932 gab es eine Hungersnot und meine Eltern mussten umziehen, um uns Kinder zu retten. Meine jüngere Schwester verstarb an dem Hunger und wir waren angeschwollen wegen des Hungers.

Wir kamen in Jenakijewo an. Unser Vater arbeitete in einem Werk. Er machte allerschwerste Arbeit am Hochofen, um uns zu ernähren. Meine Mutter konnte nicht arbeiten, weil sie krank war. Ich und mein Bruder Ivan gingen in die Schule und lernten in derselben Klasse, obwohl ich nur 8 und er schon 10 Jahre alt war. Er konnte nicht früher anfangen, weil er keine Kleidung und Schuhe hatte. Ich beendete 1941 die 7.Klasse und der Krieg fing an. Unsere Stadt wurde von den Deutschen besetzt. Wir lebten zusammen mit unserer Mutter. Der Vater war an der Front.

Verschleppung nach Westfalen

Im April 1942 wurden ich und mein Bruder Ivan nach Deutschland verschleppt. Bis zur Eisenbahnstation in Jassinowataja mussten wir unter Bewachung zu Fuß gehen. Dort warteten wir 2-3 Tage. Dann mussten wir in die Güterwaggons. Wir waren 10-12 Tage unterwegs. Wir hatten Hunger. Wir kriegten ganz wenig zu Essen. Das war ein Minimum, damit wir unterwegs nicht sterben. Ich wurde von meinem Bruder getrennt. Er musste nach Essen, wo er in einer Zeche arbeitete. Und ich landete in der Stadt Westfalia an der Weser, Bonneberg 21 (ich erinnere mich genau an diese Adresse) [gemeint ist Westfalen; Bonneberg 21 ist dem Namen Fincke in Vlotho zugeordnet, Finke, Wilhelmstr. 16, Qu: wiki.genealogy.net, S.W.]. Der Bauer hieß Hermann Finke. Er war ungefähr 35-40 Jahre alt. Er hatte 4 Kinder: zwei Mädchen Erna und Frida (11-12 Jahre alt) und zwei Jungen Werner und Hermann (7-8 Jahre). Es hat noch einen alten Opa und seine Schwester Albina gegeben. Sie war ganz alt. Ich kenne den Vornamen der Wirtin nicht. Wir nannten sie Frau Finke. Sie hatten 6 Kühe, Hühner und viele Schweine. Auf diesem Bauernhof waren auch polnische Arbeiter Stanislav Smiatkovski und Bronislava Tomaschewska. Sie waren älter als ich und machten die ganze schwere Arbeit. Sie hatten Mitleid mit mir, weil ich 15 1/2 Jahre alt war. Der Wirt und die Wirtin waren gut zu uns. Es ging uns besser als den Ostarbeitern, die für andere Bauern arbeiteten.

Arbeit und Leben im Kosthaus in Bochum

Im Dezember 1942 wurde ich nach Bochum versetzt. Ich war im Lager Konstantin – Kosthaus, Hiltroperstraße 230. Wir waren 35 – 40 Leute. Wir arbeiteten in einer Küche. Die Älteren waren nicht gerecht zu uns Minderjährigen und gaben uns die schwerste Arbeit, die uns über die Kräfte ging. Wir mussten schwere Kisten voll von Gemüse tragen, riesengroße Kessel bewachen, große Kannen mit dünner Suppe in die Lastkraftwagen laden, die dann zu den zahlreichen Zechen gebracht wurden (es hat sehr viele Zechen in Bochum gegeben). In den Zechen arbeiteten unsere russischen Kriegsgefangenen. Wir mussten manchmal auch andere Arbeit erfüllen z.B. Arbeit in der Fabrik, wo Gemüse gedörrt wurde, oder in der Zeche, wo wir Müll beseitigen mussten. Die Arbeit war schwer und wir erhielten nur 200g Brot pro Tag und dünne Suppe in unbeschränkter Menge.

In demselben Gebäude befand sich auch ein Dampfbad für Kriegsgefangene. Jeden Tag wurden Kriegsgefangene dorthin gebracht. Dort wurden sie gewaschen und ihre Kleidung wurde mit Dampf behandelt. Und dann mussten wir in dieser Höllenhitze aufräumen. Jedes Mal sahen wir diese bewachten Kolonnen und brachten einige Krankentragen. Die Kriegsgefangenen waren ganz entkräftet und manche von ihnen starben. Dann wurden sie mit Hilfe der Krankentrage zurückgetragen. In diesem Lager traf ich mich mit Soja Solomkina (geb. Komnik). Wir kommen aus einer Stadt und sind auch jetzt befreundet. Wir erinnern uns an die schweren Jahre unserer Jugend.

Erniedrigung und Unterstützung

Der Arbeitgeber hieß Herr Strafmann. Seinen Vornamen kennen wir nicht. Die Wirtin nannten wir Frau Strafmann [Wilhelm Stratmann war dort als Magazinverwalter gemeldet und war für die Lager zuständig, S.W.]. Sie war eine sehr strenge Person, sie war ganz boshaft. Wir hatten Angst vor ihr. Sie war 45-50 Jahre alt. Sie hatten keine Kinder. Sie war lahm und hinkte an einem Bein. Der Polizist hießt August (ich weiß nicht, ob das sein Vor- oder Familienname ist). Er lief hin und her und schlug mit seiner Peitsche auf seine Stiefel. Er war jung und wollte uns so schrecken. Es hat auch eine Aufseherin gegeben. Sie hieß Zibula (ich weiß nicht, ob das ihr Vor- oder Familienname war). Sie war gut – sie machte nichts Böses. Es hat auch Frau Graf gegeben. Sie lud uns zu sich nach Hause ein und wir tranken Tee bei ihr, sie bewirtete uns. Sie hatte 2 Töchter. Sie hatte keinen Mann. Sie wohnte unweit von unserem Lager. Während der Luftangriffe ließen uns die Deutschen nicht in ihren Luftschutzraum hinein und wir versteckten uns im Keller in unserem Lager. Einmal traf eine Sprengbombe unser Wohnheim und es ging in Flammen auf. Wir wohnten im Keller bis unser Haus repariert wurde. Ich erinnere mich auch an alle Mädchen von der Krim. Sie sangen ganz traurige Lieder, saßen und weinten, erinnerten sich an die Heimat. Ich besuchte sie im Jahre 1967 auf der Krim*. Jetzt sind viele von ihnen schon verstorben. [* 2005 nahm Ivanova Valentyna von der Krim an dem Besuchsprogramm der Stadt Bochum teil. Sie war ebenfalls als Küchenhilfe auf der Zeche Constantin d. Große tätig. S.W.]

Befreiung und Rückkehr

Wir wurden von den Amerikanern am 04.04.1945 befreit. Sie brachten uns in die Stadt Magdeburg an der Elbe. Dort wohnten wir eine kurze Zeit in einem Lager bis wir im Oktober 1945 nach Hause kamen.

Ich arbeitete nach dem Krieg in Jenakijewo in einem Eisenhüttenwerk als Elektrikerin. Jetzt bin ich Rentnerin. Mein Mann verstarb 1998. Jetzt wohne ich allein. Meine Monatsrente beträgt 30 Euro. Wenn ich erkranke und Arzneien brauche, dann sind sie zu teuer für mich. Die kommunalen Leistungen sind auch teuer. Es ist sehr schwer, von solcher Rente zu leben.

Ich bin dankbar dafür, dass man mich gefunden hat. Ich möchte ganz gerne Orte in Deutschland besuchen, wo ich lebte und arbeitete und einige Jahre meines schweren Schicksals verbrachte.

Hochachtungsvoll Jekaterina Okunewa

– Jekaterina Okunewa, P.Schewtschenko, 86 /56, Jenakijewo, Donezkaja Oblast 86430) –

Quelle: Gesellschaft für ehemalige minderjährige Zwangsarbeiter, Donezk

Anmerkung: Zwischenüberschriften und Kommentare wurden nachträglich ergänzt, S.W.

Dankesbrief zu Spenden für die 10 noch lebenden Zwangsarbeiter aus Donezk, im Dezember 2023

Alle bedanken sich ganz herzlich. Dies ist eine sehr wertvolle Unterstützung zwischen den Jahren. Man dürfte sich jetzt nicht nur aufs Nötigste fokussieren, sondern sich auch etwas für die feierliche Stimmung leisten. Juriy Samsonenko schreibt, dass er vom Krieg sehr deprimiert ist. Ekaterina Okuneva ist schon 97 Jahre alt, sie schreibt, dass sie oft Bluthochdruck und Kopfschmerzen hat und viel Geld für Medikamente ausgeben muss. Es ist schon 19 Jahre her, als sie in Bochum war, aber sie erinnert sich noch an die Momente aus der Zeit. Es tut allen wahnsinnig gut, einfach nicht vergessen zu werden. (Brief aus Donezk im Dezember 2023 an Waltraud Jachnow)

Der Bericht von der Leidensgenossin Soja Solomkina (geb. Komnik) hier zum Herunterladen:

Zum 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Wera Schutowa, geb. 17.9.1933, arbeitet bis heute für den Verband der ehemaligen minderjährigen Zwangsarbeiter in Donezk und hält den Kontakt zu Waltraud Jachnow, Gesellschaft Bochum-Donezk e.V., trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 aktiv aufrecht

Kriegskinder 1941 – 1945

Unser Leben hat im Krieg begonnen
und im Krieg wird es zu Ende gehen
Ach wie stolz war’n wir auf unser Land.
Doch wo bist du nun, du Heimatland?
Unsre Vorfahr‘n, Väter und auch wir –
einberufen, einst dies Land zu schützen!
Heut’ jedoch gilt jedem der Befehl:
„Bring den Bruder um, wo du ihn triffst!“
Tag und Nacht erdröhnen Explosionen.
Fliegt ein Flugzeug über uns – entsetzlich!
Hört man’s pfeifen: Angriff mit Raketen.
Herrgott, bet’ ich: „Hilf, dass es vorbeigeht!“
So sind wir gekettet an drei „W“:
Weiterleben, Weitergeben,
Weiter noch zu essen finden.
Soll’n wir suchen – wo ist’s besser? Schon zu spät!
Hier, wir bleiben und hier woll’n wir hoffen.

Wera Schutowa, 2014

20.000 zwangsdeportierte Italiener für den Ruhrbergbau

Seit Herbst 1943 versiegte aufgrund des Vorrückens der Roten Armee der Arbeitkräfte-Nachschub aus Osteuropa.

Nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten (8.9.1943) zerbrach die faschistische Achse Berlin-Rom.

Die deutsche Besetzung Nord- und Mittelitaliens hatte brutale Massaker an der Zivilbevölkerung zur Folge. Unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung wurden bei sog. “Durchkämmaktionen” in ländlichen Bergregionen gewaltsam junge, Männer für die Zwangsarbeit u.a. im Ruhrgebiet rekrutiert.

Neben den sowjetischen Arbeitskräften waren seit Ende 1943 vor allem die Italienischen Militärinternierten einer menschenunwürdigen Behandlung unterworfen.“ (Ulrich Herbert nach H. Menne/ M. Farrenkopf, Bochum 2004, S. 18)

20.000 „militärinterierte Italiener“ (IMIs) – allein 1.250 für die Zeche Constantin !

Am 2. Februar 1945 kamen um 23 Uhr zwanzig italienische Zwangsarbeiter und 1 „Russe“durch „feindseligen Luftangriff“ im Lager Bergenerstr 116 a-i in Bochum, ums Leben. Ihr Tod wurde vom Lagerführer Karl Pyter, Herne, angezeigt. Sie wurden auf dem Hauptfriedhof in Bochum beigesetzt. (Quelle: Sterbebuch – Standesamt Bochum Gerthe, 1945 Band I, Stadtarchiv Bochum).

Seit wann waren sie dort untergebracht? Was kann man über ihre Geschichte in Erfahrung bringen? Warum wurden vor allem sie tödlich getroffen?

(Quelle: Auszug der Direktorenbesprechung Hauptverwaltung des Kohlenbergbaus vom 12.10 1943, montan.dok BBA 20/2884)

Die Gewerkschaft Ver. Constantin der Große vermerkt im Juli 1944, dass zusätzlich zu den 737 Italienern 100 IMIs neu angelegt werden. Zusammen mit den 620 (westlichen) ausländischen Arbeitskräften, 529 zivilen Ostarbeitern und 1.713 russischen Kriegsgefangenen betrug der gesamte Ausländerstand zu dem Zeitpunkt 3.599 (montan.dok BBA 20/2885); bei einer Gesamtbelegschaft von ca. 9.000 Beschäftigten (1945: 8.905, montan.dok BBA 20/2880). Im Juli 1944 berichtete Baumeister Raulff, Zeche Constantin, dass Restarbeiten für das Barackenlager der Militärinternierten Italiener (IMI) in Hiltrop vor der Fertigstellung stünden. In den Mannschaftsbaracken aus Holz wären 670 Personen untergebracht, nach Fertigstellung könnten sie mit bis zu 1.080 IMIs belegt werden. (BBA 20/2885). Auf den Schächten 4/5 der Gewerkschaft Ver. Constantin d. Große, auf der Grenze zwischen Bochum-Bergen und Hernegelegen, werden ab Oktober 1943 über 700 „kriegsgefangene Italiener“ angelegt, die z.T. bisApril 1945 dort geführt werden (ITS 27-52, Kriegsgefangene Italiener, Arolsen Archives).

Laut Hans-Christoph Seidel, Institut für soziale Bewegungen (Bochum), begann der Einsatz der Italienischen Militärinternierten im Oktober 1943 mit 2.038 im Ruhrbergbau und steigerte sich auf ca. 11.918 im Juli 1944. Mit 3,1% der Belegschaften blieb ihr Anteil aber im Vergleich zu der größten Gruppe der russischen Kriegsgefangenen (ca. 20%) vergleichsweise gering. (H.-C. Seidel, Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg, S. 391 f.)

Deutsche Besetzung Italiens, Kriegsverbrechen und Zwangsrekrutierung

Die Historikerin Nadja Bennewitz berichtet in “Rom, offene Stadt” über die Besetzung Roms durch deutsche Truppen im September 1943 sowie den Partisanenkampf und das Massaker in den Fosse Ardeatine als grausame Vergeltungsaktion und Auftakt massiver Kriegsverbrechen in Norditalien – auch im Zuge von Zwangsrekrutierungen von italienischen Zwangsarbeitern, den sog. “Italienischen Militärinternierten” (IMI).

https://resistenza.de/rom-offene-stadt/#more-846

Foto: Symbol des Partisanenkampfes in Arcevia, Provinz Ancona, Marken, S. Wycisk